Gleich in meinem ersten Semester hatte ich das Glück, die erste Veranstaltung der Aachener Montagabendgespräche von Prof. Speidel an der RWTH erleben zu können, einen Doppelvortrag von Oswald Mathias Ungers und Aldo Rossi. Rossi, Mitglied der kommunistischen Partei Italien, zündete sich auf der Bühne erst mal eine Zigarette an, um in Ruhe die im Publikum entrollten Plakate „Gallaratese, Faschistische Architektur“ zu betrachten. Nikolaus Kuhnert und Sabine Kraft, Herausgeber der Arch+, die damals noch in Aachen saß, waren – soweit ich mich erinnere – mit im Publikum.
Für mich war das, was da über die Köpfe diskutiert wurde, fremd, denn draußen auf dem Gang lagen gebundene Bücher als Diplomarbeiten mit soziologischen Inhalten und hier im Raum wurde über konkrete Architektur gesprochen. Das war für uns spannender als Ideologie. Und später, bei Gottfried Böhm, war Architekturge-schichte ein Steinbruch, der für die typologischen Neuschöpfungen diente und von uns begierig analysiert wurde, um den Funktionalismus zu überwinden. Es ging um eine Wiederherstellung der Würde des Individuums im entstellten Raum der Moderne.
Nun wieder Arch+, mit neuen Redakteuren und irgendwie so, als würde sich die Architekturdiskussion wiederholen, als könnte man mit den gleichen Bannern eine inzwischen veränderte Welt beschreiben. Das befremdet! Denn die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Architektur ist eine Grundvoraussetzung des Entwerfens und um ein Vielfaches differenzierter, als einen Platz mit Arkadensäulen und einer angenehmen Aufenthaltsqualität als faschistischen Raum zu bezeichnen. Vielleicht spricht man auch so, weil man sich mit Platzräumen noch nicht vertieft auseinandergesetzt hat. Der Vergleich von dem Platz mit der Via Roma ist gesucht. Dann würde man wahrscheinlich verstehen, dass der Platz als Spiegelung seiner Seiten keine Mitte, keinen Fokus, keine Überhöhung hat, sondern quasi mit den offenen Seiten in die gewachsene Stadt übergeht, in die Bürgerstadt, in die liberale Stadt. Albert Speer hätte, wie Beispiele zeigen, mit Arkadenreihen den Platzraum geschlossen und damit als einen Raum für die „Besonderen“ ausgegrenzt, als Trennung zu den „Anderen“, den Außenstehenden. Das wäre dann ein faschistischer Platzraum. Aber nicht der Walter-Benjamin-Platz – der ist es eben genau nicht! Der Platz ist nicht leer, sondern wird normal benutz und begangen; aber manche kennen in ihrer Beurteilung vielleicht nur den Verkehrsplatz als Kreuzung von Menschenströmen.
Das Verstörende und umgekehrt gleichwohl populistische des Artikels ist aus meiner Sicht, dass gegen Faschismusvorwürfe Unverdächtige , die aber mit der Geschichte der Architektur arbeiten, sich schlicht ärgern, wie Architekturkritiker mit einer merkwürdig ideologisch motivierten Feder die eigentlichen Probleme des nationalistischen Populismus übergehen. So kann man das Gegenteil von dem bewirken, für das man angeblich schreibt.
Wem als Argument zu guter Letzt nun die Bodenplatte als rechtes Indiz noch einfällt: Diese war scheinbar den wenigsten bekannt und ist über das Bauwerk hinaus eine persönliche Interpretation Kollhoffs von seinem eigenen Bauwerk, die – zugegebener Maßen – missverstanden werden kann und dadurch inakzeptabel ist. Der Platz selbst ist städtebaulich von der Platte aber unabhängig zu beurteilen und der Name Walter-Benjamin-Platz treffend für den Geist des zu beiden Seiten offenen Stadtraums, der Flaneure anzieht.
(Siehe: Arch+ „Rechte Räume“ zum Thema „Raumgreifungen durch neurechte Tendenzen“ darin die Vorstellung der Arbeit von Verena Hartbaum zu Hans Kollhoffs Walter-Benjamin-Platz in Berlin (1999-2001) / FAZ Artikel von Niklas Maak „Antisemitische Flaschenpost“ vom 26.5.2019 / Der Spiegel Nr. 24, vom 8.6.2019, darin der Artikel von Susanne Beyer, „Steine des Anstoßes“ / etc.